Um welche Verträge geht es?
Bei den betroffenen Verträgen handelt es sich um Sparverträge oder Riester-Banksparpläne, die beispielsweise unter den Namen
- "Bonusplan" (Volks- und Raiffeisenbank)
- "Prämiensparen flexibel" (Sparkasse)
- "VorsorgePlus" (Sparkasse)
- "Vorsorgesparen" (Sparkasse)
- "Vermögensplan" (Sparkasse)
- "VRZukunft" (Volks- und Raiffeisenbank)
- "Vorsorgeplan" (Sparkasse)
- "Scala" (Sparkasse)
vertrieben wurden. Rechtswidrige Zinsklauseln können Sie aber auch in einem einfachen Sparbuch mit Aufkleber und extra Zinsvereinbarung finden.
Betroffen sind zudem überwiegend langfristige Sparverträge mit variablen Zinssatz, die in den 1990er- und 2000er-Jahren abgeschlossen wurden. Das zeigen anhaltende Beschwerden von Verbrauchern bei den Verbraucherzentralen und den Marktbeobachtungs-Experten.
Die Verzinsung dieser Verträge setzt sich meist aus zwei Vereinbarungen zusammen:
- Einem variablen Grundzins und
- einer vereinbarten Prämie (Bonus).
Der Grundzins ist der Zins, mit dem das jeweilige Guthaben jährlich verzinst wird. Die Prämie erhält der Sparer zusätzlich, sie ist umso höher je länger der Sparvertrag besteht. Sie wurde in der Regel nicht ausgezahlt, sondern dem Kapital zugeschlagen. Der Anreiz solcher Verträge ist klar: Kunden werden mit einem Versprechen langfristig an Verträge gebunden.
Rechtswidrige Zinsanpassungsklausel
Ein variabler Grundzins – also ein Zins, der von der Bank an die allgemeine Zinsentwicklung am Markt angepasst werden kann – ist für viele Verträge üblich. Eine solche Vereinbarung muss aber, insbesondere für Verträge mit langer Laufzeit, transparent sein. Schließlich haben Verbraucher bei Langzeitverträgen nicht die Möglichkeit oder es ergibt wirtschaftlich für sie keinen Sinn, kurzfristig auf ein anderes Angebot mit besseren Zinsen umzusteigen.
In vielen dieser alten Verträge stecken aber Vereinbarungen (sogenannte Zinsgleitklauseln, Zinsänderungsklauseln oder Zinsanpassungsklauseln), die rechtswidrig sind. Solche rechtswidrigen Klauseln ermöglichen es Banken, den Zins nach eigenem Ermessen anzupassen, was in der Regel zu Lasten der Kunden geht: Sie bekommen zu wenig Zinsen gutgeschrieben!
Der Bundesgerichtshof hat solche Vertragsklauseln in mehreren Verfahren für unzulässig erklärt (Az. XI ZR 361/01, Az. XI ZR 140/03, Az. XI ZR 52/08, Az. XI ZR 197/09, Az. XI ZR 508/15, XI ZR 234/20). Mit seinen Entscheidungen vom 24. November 2021 in 2 weiteren Musterfeststellungverfahren (Az.: XI ZR 461/20 und XI ZR 310/20) festigte er seine langjährige Rechtsprechung und stärkte erneut die Rechtsposition der Sparer:innen.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hatte schon im Februar 2020 im BaFinJournal darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung zu ignorieren und die unwirksamen Klauseln bewusst kommentarlos weiterzuverwenden, als Missstand gesehen wird, bei dem die BaFin eingreifen kann. Am 21. Juni 2021 erließ sie schließlich, gegen den Widerstand der Finanzinstitute, eine Allgemeinverfügung. Sie soll die Institute verpflichten, alle betroffenen Kund:innen zu informieren. Gegen diese Allgemeinverfügung haben sich die Institute rechtlich gewehrt, sodass nun das zuständige Verwaltungsgericht entscheiden muss, ob die Allgemeinverfügung rechtens war. Dies kann sich noch längere Zeit hinziehen.
Streitfragen um den Referenzwert
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seinen Urteilen vom 6. Oktober 2021 (Az. XI ZR 234/20) und 24. November 2021 (Az.: XI ZR 461/20 und XI ZR 310/20 eindeutig entschieden.
Einzig die Frage, welcher Referenzzins heranzuziehen ist, wurde vom BGH im Rahmen der Musterfeststellungsklagen der Verbraucherzentrale Sachsen nicht entschieden. Diese Frage wurde an das Oberlandesgericht (OLG) Dresden zurückverwiesen.
Der Referenzzins sollte
- langfristig sein und der Laufzeit des Sparvertrags entsprechen,
- unabhängig und unbeeinflussbar und
- jederzeit ermittelbar sein.
Es liegt also nahe, dass ein Wert verwendet wird, der von der Deutschen Bundesbank veröffentlicht wird.
Das OLG Dresden bestimmte diese Werte als interessengerecht:
- Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen
- börsennotierte Bundeswertpapiere
- RLZ von über 8 bis 15 Jahren
- Monatswerte.
Die Besonderheit ist, dass es sich hier um Monatswerte handelt. Diese Werte werden auch von der Deutschen Bundesbank veröffentlicht.
Monatswerte sind Zinssätze bzw. Renditen, mit denen neu anzulegende Gelder im jeweiligen Monat verzinst wurden, wenn sie bis zum Ende der definierten Laufzeit gehalten werden.
Die Festlegung eines Monatswertes ist jedoch für Produkte ungeeignet, bei denen Sie einen monatlichen Beitrag zahlen. Das ist hier bei den Banksparplänen aber der Fall. Das OLG Dresden hat das nach Auffassung der Verbraucherzentralen nicht erkannt hat. Es widerspricht sogar der gängigen Praxis der Institute. Diese haben branchenweit selbst sogenannte gleitende Zinssätze als Referenzwert zugrunde gelegt.
Bei dem Referenzwert, den die Verbraucherzentralen als sach- und interessengerecht erachten, handelt es sich ebenfalls um folgenden gleitenden Zinssatz:
- Umlaufsrenditen inländischer Inhaberschuldverschreibungen,
- Hypothekenpfandbriefe,
- RLZ von über 9 bis 10 Jahren,
- gleitende Durchschnitte (aus früherer Kennung: WX4260).
Diese Zeitreihe wird von der Deutschen Bundesbank monatlich unter dieser Bezeichnung veröffentlicht.
Die Verbraucherzentralen halten einen gleitenden Zins als Referenzwert für sach- und interessengerecht. Ein gleitender Zins entspricht dem Durchschnitt einer Reihe von Monatswerten. Auch das Gesamtguthaben des Sparvertrags, das monatlich verzinst wird, besteht aus Sparleistungen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten seit Vertragsschluss erbracht wurden.
Darum ist nach Auffassung der Verbraucherzentralen nur eine Verzinsung sachgerecht, die sich aus einer Mischung der unterschiedlichen Zeitpunkte in der Vergangenheit ergibt. Das ist nur bei einem gleitenden Zinssatz der Fall. Die Banken und Sparkassen durften damit rechnen, dass die erste Sparrate für 15 Jahre zur Verfügung steht. Der Sparvertrag ist mit einer Prämienstaffel ausgestattet, die einen Anreiz setzt, den Vertrag mindestens über 15 Jahre fortzusetzen. Sie konnten diese Rate daher langfristig als Kredit herausgeben.
Bei einem Monatszinssatz, wie ihn das OLG Dresden für interessengerecht hält, wird vereinfacht gesprochen unterstellt, dass das gesamte Guthaben zum Monatsende immer wieder neu langfristig (8-15 Jahre) angelegt wird. Das Gericht hat sich dazu nicht geäußert, dass es allein schon aus Gründen der Logik unmöglich ist, das Guthaben aus dem Januar für 10 Jahre fest anzulegen, und es dann im Februar erneut, wiederum für 10 Jahre, fest anzulegen.
Legt die Bank oder Sparkasse die eingenommenen Gelder wieder neu in langfristige Wertpapiere an an, darf man dabei eins nicht ausblenden: Kurse ändern sich monatlich. Kurswerte steigen bei fallenden Zinsen. Eben dies ist aber der Fall, wenn man als Referenzzinssatz nur Monatswerte langfristiger Renditen heranzieht.
Nicht umsonst verwendeten bislang alle Sparinstitute gleitende Referenzzinsen. Nach wie vor thematisieren sowohl der Sparkassenverband als auch der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken auf ihren Internetseiten die Zinsanpassung bei langfristigen Sparverträgen mit gleitenden Zinssätzen.
Der Referenzwert hat großen Einfluss auf eine mögliche Zinsnachforderung. Erfahrungsgemäß bekommen Sie 30 bis 60 Prozent weniger Zinsen, wenn diese anhand eines Referenzwertes auf Monatsbasis errechnet wurden, als bei gleitenden Zinsen. Das haben Überprüfungen ergeben.
Was mache ich, wenn meine Bank oder Sparkasse mir neue Zinsklausel vorschlägt?
Derzeit verschicken einige Kreditinstitute Briefe an Kund:innenderen Sparvertrag die rechtswidrige Zinsanpassungsklausel enthält. Prüfen Sie diese Angebote kritisch prüfen. Folgende Sachverhalte sind den Verbraucherzentralen bekannt:
Neuabrechnung des Sparvertrags mit Nachzahlung
Prüfen Sie die Parameter der Neuabrechnung. Meist erfolgt diese auf Basis des Referenzwertes, den das OLG Dresden in den beiden Einzelfällen als interessengerecht erachtete. Diesen Referenzwert halten die Verbraucherzentralen aber weder für sach- noch für interessengerecht.
Gut zu wissen: Sie müssen einer Neuabrechnung nicht zustimmen, wenn Sie mit den Parametern nicht einverstanden sind. Weitere Urteile könnten einen Referenzwert bestimmen, der Ihnen zu einer höheren Nachzahlung verhelfen würde.
Vertragsauflösung
Seien Sie kritisch, wenn Ihnen eine Vertragsauflösung angeboten wird, auch wenn Sie dafür eine extra Prämie erhalten. Meist ist die angebotene Prämie geringer als die, die das Kreditinstitut bezahlen müsste, wenn der Vertrag bis zur ersten Kündigungsmöglichkeit fortgesetzt wird.
Neues Zinsanpassungsverfahren
Einige Institute möchten eine neue Zinsanpassung vereinbaren. Dabei behaupten sie, mit der neuen Zinsklausel würden sie die aktuelle Rechtsprechung umsetzen. Erfahrungsgemäß wählen die Institute hier aber Parameter, die für sie selbst vorteilhaft sind. Wenden Sie sich an die Verbraucherzentrale, wenn Sie eine unabhängige Bewertung der neuen Zinsklausel erhalten möchten.
Wichtig: Solange der Sparvertrag noch läuft, besteht kein Zeitdruck, eine neue Vereinbarung abzuschließen oder eine Nachzahlung auszuhandeln. Eine höchstrichterliche Entscheidung zum Referenzwert steht weiterhin aus. Der vom OLG Dresden in den beiden Einzelfällen genannte Referenzwert, ist aus Sicht der Verbraucherzentralen nicht akzeptabel.
Solange die Ansprüche noch nicht verjährt sind oder zu verjähren drohen, sollten Verbraucher:innen einer Zinsanpassungsvereinbarung auf Basis von Monatswerten nicht zustimmen und auf eine günstigere Rechtsprechung hoffen. Sobald der Sparvertrag aber beendet ist, beginnt die dreijährige Verjährungsfrist.
Welche Banken sind betroffen?
Tausende von Verträgen haben die Verbraucherzentralen bundesweit bereits rechtlich überprüft. Hierbei wurden den Verbraucherzentralen Sparverträge mit unwirksamen Zinsanpassungsklauseln von nachfolgenden Anbietern vorgelegt. Wir können nicht sagen, ob sich die Institute heute noch auf diese Klauseln berufen, ob sie mit ihren Kunden neue vereinbart haben oder ob sie einfach neue Klauseln verwenden, ohne diese jemals mit ihren Kunden vereinbart zu haben, was unzulässig ist. Aber aufgepasst: Wenn Ihre Sparkasse oder Ihre Bank nicht auftaucht, heißt das nicht, dass es dort keine Verträge mit fehlerhaften Zinsanpassungsklauseln gibt. Gut möglich, dass die Verbraucherzentralen von dem Institut einfach noch keinen Vertrag überprüft haben.