Antibiotika und resistente Keime: Bei Bio-Produkten deutlich seltener

Stand:
In Deutschland werden jährlich Hunderte Tonnen Antibiotika an Nutztiere verabreicht. Das hat die Verbreitung von multiresistenten Keimen zur Folge, die auch Menschen gefährlich werden können. Wer auf bessere Haltungsbedingungen und Bio setzt, tut etwas gegen übermäßigen Medikamenten-Einsatz.
Ein Tierarzt in Schutzkleidung sieht sich Schweine in einem Betrieb an.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Untersuchungen zeigen: Antibiotika werden in der Tierhaltung teilweise übermäßig und weit verbreitet eingesetzt, statt ausschließlich kranke Tier gezielt damit zu behandeln.
  • Dadurch können nicht nur Rückstände der Medikamente in Lebensmittel gelangen, sondern auch zunehmend resistente Keime, die bei Menschen schwierig zu behandeln sind.
  • Strikte Vorgaben zum Antibiotika-Einsatz gibt es für Bio-Betriebe und Bio-Produkte. Diese enthalten seltener und weniger antibiotikaresistente Keime.
On

Gesundheitsrisiken durch Antibiotika-Resistenzen steigen

Weltweit - und auch in Deutschland - werden Menschen wie auch Tieren zu oft Antibiotika verabreicht. In der Tierhaltung werden häufig nicht nur einzelne kranke Tiere, sondern ganze Tierbestände behandelt - oft mehrmals bis zur Schlachtung. Experten kritisieren seit Jahren Antibiotikaeinsatz, der durch bessere Haltungsbedingungen vermeidbar wäre. Hinzu kommt die Vielzahl von Anwendungsfehlern, z.B. falsche Dosierung und  Behandlungsdauer.

Der weltweite, übermäßige Einsatz von Antibiotika hat zu einer massiven Ausbreitung von resistenten Bakterien geführt. Die Erreger versuchen, sich gegen Antibiotika zu wehren. Meist gelingt ihnen das nicht. Manchmal schaffen sie es aber, sogenannte Resistenzen zu bilden, d.h. Mechanismen zu entwickeln, die dafür sorgen, dass ein Antibiotikum sie nicht zerstört. Der Einsatz von Antibiotika als Wachstumsmittel in der Mast ist zwar in der EU verboten, aber im Rest der Welt häufig nicht.

Resistente Bakterien können zu einem ernsten Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier werden.  Erkrankungen, die durch resistente Keime verursacht werden, sind deutlich schwieriger und teilweise gar nicht mehr zu behandeln. Wenn nur noch wenige oder keine Antibiotika wirken, kann eine bakterielle Infektion schnell zu einem Notfall werden. Das Risiko steigt, wirksame Antibiotika in der Medizin zu verlieren.

Schon heute erkranken in der EU jährlich 670.000 Menschen an Infektionen durch antibiotikaresistente Erreger, 33.000 Menschen sterben daran. Für das Jahr 2050 werden jährlich 390.000 Todesfälle in Europa durch antimikrobielle Resistenzen vorausgesagt. Nach einer Studie im Auftrag der G7-Staaten von 2022 sind in Deutschland jährlich etwa 9.600 Todesfälle direkt auf Antibiotika-Resistenzen zurückzuführen, weitere 45.700 Todesfälle stehen in einem Zusammenhang mit resistenten Bakterien. Die Ausbreitung der Antibiotika-Resistenz wird daher auch als "Stille Pandemie" bezeichnet.

Der Verbrauchermonitor des Bundesinstituts für Risikobewertung zeigt, dass rund 57 Prozent der Verbraucher:innen über Antibiotika-Resistenzen besorgt sind. Es ist das Gesundheitsthema, das die Verbraucher:innen am stärksten beunruhigt.

Beunruhigung über Gesundheits- und Verbraucherthemen
Quelle: Verbrauchermonitor des Bundesinstituts für Risikobewertung 02/2019, S. 9

Risiken von Antibiotika in der Tierhaltung

Auch in deutschen Tierställen sind resistente Bakterien weit verbreitet. Und: Sie gelangen über Lüftungsanlagen in den Ställen in die Umwelt. Noch in 350 Metern Abstand konnten sie in der Luft nachgewiesen werden und 500 Meter vom Stall auf dem Boden. Auch auf Gemüse wurden schon resistente Bakterien gefunden, die mit Gülle auf die Felder gelangten.

Tiergesundheit ist ein wichtiges Ziel in der Landwirtschaft - sowohl aus ethischen als auch finanziellen Gründen. Krankheitsvorsorge spielt dabei eine große Rolle:

Tiere sollten so gehalten werden, dass Krankheitsausbrüche möglichst vermieden werden. Antibiotika dürfen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung nicht vorbeugend, sondern nur zur Behandlung von Krankheiten eingesetzt werden.

Dass dies nicht immer befolgt wurde, zeigt eine Studie zur Masthühnerhaltung in NRW von 2011. Danach wurden rund 92 Prozent der erfassten Tiere mit Antibiotika behandelt. In Niedersachsen (ebenfalls 2011) konnte bei 83 Prozent der Masthuhnbetriebe, 92 Prozent der Putenaufzucht- und -Mastbetriebe, 77 Prozent der Mastschweinbetriebe und allen Kälbermastbetrieben der Einsatz von Antibiotika festgestellt werden.

Eine besondere Rolle spielen die Reserve-Antibiotika, die bei Infektionskrankheiten von Menschen wichtig sind. Wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken, sind sie das allerletzte Mittel um die Erreger zu bekämpfen. Reserveantibiotika sollten nur im Notfall eingesetzt werden, um ihre Wirksamkeit nicht zu gefährden. Deshalb fordert der Verbraucherzentrale Bundesverband, Reserve-Antibiotika in der Tierhaltung zu verbieten.

Seit 2011 sind Pharmaunternehmen und Großhändler gesetzlich verpflichtet, die Antibiotikamengen, die an Tierärzt:innen in Deutschland abgeben werden, dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zu melden.

Während 2011 noch 1.706 Tonnen Antibiotika in der deutschen Tiermedizin verabreicht wurden, hat sich der Einsatz bis 2021 auf 601 Tonnen verringert. Ein Grund für die gesunkene Abgabemenge könnte der Rückgang der Tierzahlen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung insbesondere bei Schweinen sein.

Resistente Keime und Rückstände von Antibiotika auch bei Lebensmitteln möglich

Landwirte müssen eine bestimmte Zeit warten, bis die Tiere nach Krankheit und deren Behandlung geschlachtet oder  die Milch und Eier verkauft werden dürfen. Deshalb kommt es sehr selten vor, dass die gesetzlich festgelegten Höchstmengen an Antibiotika-Rückständen in Lebensmitteln überschritten werden. Die zuständigen Bundesbehörden sehen daher kein gesundheitliches Risiko für Verbraucher:innen durch Antibiotika-Rückstände in Lebensmitteln.

Problematisch sind vielmehr die resistenten Bakterien. Sie können bei Kontakten mit Tieren direkt auf Menschen übertragen werden. Auch eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist möglich. Darüber hinaus können resistente Keime Lebensmittel verunreinigen: Wenn es bei der Schlachtung oder in den Verarbeitungsbetrieben Hygienemängel gibt, können Bakterien auf Fleisch und Wurst sowie in Milch gelangen. Werden diese Produkte anschließend nicht ausreichend erhitzt, können resistente Keime durch Nahrungsmittel in den Körper gelangen.

Einsatz von Antibiotika reduzieren: Was Tierhalter tun können

Die Gesundheit der Tiere muss aus Sicht der Verbraucherzentralen für alle Tierhalter und Tierärzte oberstes Ziel sein.

  • Tiergerechte Haltungsbedingungen mit beispielsweise kontrolliertem Stallklima (u.a. Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Konzentration schädlicher Gase),
  • mehr Platz für die Tiere,
  • gute Hygiene - einschließlich sauberem Trinkwasser - und
  • regelmäßige tierärztliche Kontrollen

tragen zu einem starken Immunsystem der Tiere bei und verringern die Anfälligkeit für Krankheiten. Dadurch kann der Einsatz von Antibiotika erheblich gesenkt werden.

Zusätzlich lässt sich das Risiko, Krankheiten einzuschleppen und damit die Menge der eingesetzten Tierarzneimittel durch vorausschauende Planung reduzieren, indem Tiere von möglichst wenigen Betrieben zugekauft und diese Betriebe sorgfältig ausgewählt werden.

Auch die Auswahl der Tierrassen ist entscheidend: Tiere aus Hochleistungsrassen, die etwa so gezüchtet sind, dass sie besonders viel Milch geben oder in kurzer Zeit sehr viel Fleisch ansetzen, sind besonders krankheitsanfällig. Landwirte, die stattdessen robuste Rassen halten, kommen in der Regel mit deutlich weniger oder sogar ganz ohne Antibiotika aus.

Was können Verbraucher:innen gegen die Ausbreitung resistenter Keime tun?

Als Verbraucher:in können Sie mit dem Kauf von Biofleisch, Biomilch und Bioeiern zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes beitragen. Die ökologische Tierhaltung ist deutlich weniger leistungsorientiert und damit schonender für die Tiere, so dass sie seltener mit Antibiotika behandelt werden als Tiere in der konventionellen Landwirtschaft.

Die EU-Rechtsvorschriften zum Ökologischen Landbau begrenzen den Antibiotikaeinsatz stark. Einige Biolandwirte verzichten außerdem bewusst auf den Einsatz bestimmter Wirkstoffe, die für die medizinische Behandlung von Menschen besonders wichtig sind (Reserve-Antibiotika). Aus diesen Gründen werden in Ökobetrieben und Bio-Lebensmitteln kaum antibiotikaresistente Keime nachgewiesen.

Auch andere extensive - also weniger intensive, auf hohe Leistung abzielende - Haltungsformen fördern die Tiergesundheit, so dass hier in der Regel weniger Antibiotika eingesetzt werden: Hierzu gehören beispielsweise Geflügelfleisch aus Freilandhaltung oder bäuerlicher Freilandhaltung sowie Fleisch mit der "Haltungsform"-Kennzeichnung 3 und 4.

  • Wichtig ist für Verbraucher:innen, dass sie hygienisch mit tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln im Haushalt umgehen, da diese mit Keimen - auch antibiotikaresistenten Keimen - verunreinigt sein können. Fleisch sollte gut durchgegart und rohes Gemüse und Obst vor dem Verzehr sorgfältig gewaschen werden. Weitere Informationen zur richtigen Lagerung und Zubereitung finden Sie auf unserer Übersichtsseite zum Thema.
  • Letztlich sollten wir auch selbst mit antibiotischen Arzneimitteln verantwortungsvoll umgehen und diese nur nach eindeutiger Diagnose und nur auf ärztliche Verordnung einnehmen. Dabei ist es sehr wichtig, die ärztlichen Anweisungen genau einzuhalten, etwa zur Dauer der Einnahme eines Antibiotikums.

Durch Ihre Kaufentscheidung für tierische Lebensmittel aus verbesserter Tierhaltung leisten Sie also einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Tiere und zu Ihrer eigenen Gesundheitsvorsorge.

Verschiedene Organisationen der Human- und Veterinärmedizin sowie dem Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Es setzt sich unter anderem dafür ein, dass wichtige Reserve-Antibiotika für den Menschen nicht in der industriellen Tierhaltung angewandt werden. Zu dem Bündnis gehört auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv).

Ausführliche Informationen zum Thema "Tiergesundheit und Antibiotika" finden Sie in einem Fachbeitrag der Verbraucherzentrale NRW.

Mehrere Schweine stehen in einem geräumigen Stall auf Stroh.

Tierschutz und Tierwohl: Infos und Einkaufstipps

Die übliche intensive Haltung kann für Tiere und Umwelt zum Problem werden. Wir geben Tipps, worauf Sie beim Einkauf von Schweine-, Rinder- und Geflügelprodukten im Dschungel der verschiedenen Label und Haltungsangaben achten können.

Ratgeber-Tipps

Ratgeber Photovoltaik
Wer ein Stück weit unabhängig von den Preiskapriolen der Energieversorger werden will, kümmert sich um die Anschaffung…
Handbuch Pflege
Als pflegebedürftig gelten Menschen, die wegen einer Krankheit oder Behinderung für mindestens sechs Monate Hilfe im…
Foto von einer Hand, die eine Fernbedienung hält und auf einen Fernsehbildschirm richtet, auf dem ein Fußballspiel läuft

ARD und ZDF nur noch in HDTV empfangbar - Das können Sie jetzt tun

Ab 2025 wird die Ausstrahlung der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender in Standardqualität eingestellt. Wir beantworten die wichtigsten Fragen und informieren, was Sie tun müssen, damit Ihr Fernsehbildschirm 2025 nicht schwarz wird.
Fernbedienung wird auf Fernseher gerichtet

Sammelklage wegen service-rundfunkbeitrag.de gegen SSS-Software Special Service GmbH

Die SSS-Software Special Service GmbH macht auf service-rundfunkbeitrag.de nicht ausreichend kenntlich, dass sie Geld für eigentlich kostenlosen Service verlangt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband klagt vor dem OLG Koblenz und hat eine Sammelklage eingereicht. Betroffene können sich jetzt für die Klage beim Bundesamt für Justiz (BfJ) anmelden. Und im Erfolgsfall von der Klage profitieren.
Fernbedienung wird auf Fernseher gerichtet

Unrechtmäßige Gebühren auf service-rundfunkbeitrag.de: Sammelklage eröffnet

Nach einer Abmahnung kündigten die Betreiber von www.service-rundfunkbeitrag.de an, unrechtmäßig erhobene Gebühren zurückzuzahlen. Dies ist jedoch in vielen Fällen nicht geschehen. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat eine Sammelklage eingereicht. Betroffene können sich jetzt für die Klage anmelden.